Die Vegetarierin
Han Kang
Die Vegetarierin
Verlag atb
„Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie in jeder Hinsicht für völlig unscheinbar. Ich fand sie bei der ersten Begegnung nicht einmal attraktiv. Ihre farblose Kleidung zeugte von ihrer Scheu, etwas von sich preiszugeben. Als ich einmal zufällig meine Hand auf ihren Rücken legte, dauerte es einen Moment, bis mir klar wurde, dass ich unter ihrem Pullover keinen BH-Träger spüre. Warum sie keinen BH trug, erfuhr ich nicht“.
Yeong-hye und ihr Ehemann sind ganz gewöhnliche Leute. Er geht beflissen seinem Bürojob nach und hegt keinerlei Ambitionen. Sie ist eine zwar leidenschaftslose, aber pflichtbewusste Hausfrau. Die angenehme Eintönigkeit ihrer Ehe wird jäh gefährdet, als Yeong-hye beschliesst, sich fortan ausschliesslich vegetarisch zu ernähren und alle tierischen Produkte aus dem Haushalt entfernt. „Ich hatte einen Traum“, so ihre einzige Erklärung.
Bald nimmt Yeong-hyes passive Rebellion immer groteskere Ausmasse an. Sie, die niemals gerne einen BH getragen hat, fängt an, sich in der Öffentlichkeit zu entblössen und von einem Leben als Pflanze zu träumen. Als ihr Mann es nicht mehr erträgt, muss Yeong-hye ausziehen.
Ihr Schwager, Künstler, der malt und fotografiert, findet sie sehr attraktiv. Als er Yeong-hye fragt, ob er sie fotografieren darf, zögert sie nicht. In seinem Atelier legt sie ihre Kleidung ab, und er fotografiert sie nackt – ihr Körper ist nur mit Blumen bemalt. Sie werden auch intim und er filmt alles. Seine Frau, die Schwester von Yeong-hye, erwischt die beiden. Mit Blumen bemalt liegen sie nebeneinander, als sie sie findet. Die Schwester ruft einen Krankenwagen, denn für sie sind die beiden krank. Sie kommen in eine Klinik. Er kann bald wieder nach Hause. Nicht so Yeong-hye: sie redet kaum, isst wenig und ist nach wie vor sehr dünn. Sie ist psychisch krank. Die einzige Person, die zu ihr Kontakt hat, ist ihre Schwester, In-Hye. Wenn sie zu Besuch kommt, sorgt sie dafür, das Yeong-hye eine Infusion bekommt, denn mittlerweile isst sie nichts mehr und ist nur noch Haut und Knochen. Sie sei ein Baum und brauche nur Wasser und Sonne, so ist ihre Begründung.
Das Buch ist spannend geschrieben und regt auch zum Nachdenken an. Es geht nicht nur ums Essen, wie man zuerst das Gefühl hat, sondern behandelt Themen wie gesellschaftlicher Druck, weiblichen Widerstand, Gewalt, psychische Erkrankungen und die Suche nach der Identität. Ein Buch, wie man es nicht oft zu lesen bekommt. Wer die Details wirklich erfassen will, muss es selbst gelesen haben.
Han Kang wurde in Gwangju, Südkorea geboren. 1993 debütierte sie als Dichterin, ihr erster Roman erschien 1994. Für ihr literarisches Schreiben wurde sie mit dem Yi-Sang-Literaturpreis, dem Today's Young Artist Award und dem Manhae Literaturpreis ausgezeichnet. Derzeit lehrt sie kreatives Schreiben am Kulturinstitut Seoul. Im Aufbau Verlag (atb) sind ausserdem «Menschenwerk», «Deine kalten Hände» und «Weiss» von Han Kang erschienen.
Karin Aeschlimann
Schul- und Gemeindebibliothek Wasen
